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Interview mit KPMG-Experten: "Fahrzeugfinanzierung genießt hohe Attraktivität"

Dr. Steffen Wagner, Head of Infrastructure Advisory bei KPMG und Sektorleiter für den Bereich Transport & Tourismus, zu den Herausforderungen bei der SPNV-Fahrzeugfinanzierung.

 

Was sehen Sie aktuell als die größten Herausforderungen bei der Beschaffung von Fahrzeugen im deutschen SPNV-Markt?

Die beteiligten Akteure stehen vor der Herausforderung, innerhalb kürzester Zeit weitere Kapazitäten zu schaffen, sowohl im Netz als auch bei der Beschaffung der Verkehrsleistung. Dabei gilt es auch, bestehende, nicht elektri- fizierte Strecken mit klimafreundlichen Antrieben zu betreiben. Dies geht häufig mit einer Erweiterung des fahrzeugseitigen Angebots einher, die über den reinen Ersatz der Bestandsfahrzeuge hinausgeht.

Gleichzeitig bewegen wir uns in einem schwierigen Marktumfeld, welches das zur Verfügung stehende Angebot an Fahrzeugen stark einschränkt: So hat die Kombination aus steigender Inflation, einem erhöhten Zinsniveau und einer stark gestiegenen Nachfrage zu einem Anstieg der Einkaufspreise für Fahrzeuge im Vergleich zum Vorjahr um bis zu 30 % geführt. Infolgedessen werden vermehrt auch Risiken wie Preisänderungen für Materialkosten auf die öffentlichen Aufgabenträger übertragen. Die Verkehrsunternehmen wiederum haben weiterhin ein höheres Risiko verzögerter Lieferungen von Fahrzeugen.

Wie können Aufgabenträger und Betreiber dennoch einen geeigneten Fahrplan für die Beschaffung von Fahrzeugen entwickeln?

Eine erfolgreiche Beschaffung star-
tet für den jeweiligen Aufgabenträger
aus meiner Sicht bereits lange vor dem
eigentlichen Vergabeverfahren mit der
Formulierung der verfolgten Ziele und
der Definition entsprechender Ver-
antwortlichkeiten in einem möglichst
breiten Projektteam. Hier werden regel-
mäßig wirtschaftliche und technische
Ziele sowie Beiträge zu
Umwelt- und Klima-
schutz und das soziale
Engagement (ESG)
über den gesamten Le-
benszyklus der Fahr-
zeuge gegeneinander
abgewogen.
Als nächster Schritt
sollte dann frühzeitig
eine Markterkundung
zur Bestimmung der
verfügbaren Kapa-
zitäten und Kompe-
tenzen durchgeführt
werden, um einen ausreichenden Be-
schaffungswettbewerb sicherzustellen.
Im aktuellen, sehr volatilen Marktum-
feld wird es zudem mit hoher Wahr-
scheinlichkeit zu kurzfristigen Verän-
derungen kommen, das verlangt eine
Beschaffung, die – sofern durch den
Aufgabenträger durchgeführt – auf Fle-
xibilität in Bezug auf die Anforderun-
gen an die zu beschaffenden Fahrzeuge
sowie einen ausreichenden zeitlichen
Puffer ausgelegt ist.
Wie kann trotz steigendem Zinsum-
feld eine passende Finanzierung der
Fahrzeuge gefunden werden?
Die Finanzierung von Schienenfahr-
zeugen genießt aufgrund ihres Beitrags
zur ESG-Agenda bei Fremdkapitalge-
bern weiterhin eine hohe Attraktivität.
Darüber hinaus stellen Aufgabenträger
im SPNV häufig Kapitaldienstgarantien
aus, die es den Kapitalgebern ermögli-
chen, ihre Finanzierung pfandbrieffähig
auszugestalten und effektiv bei der Zins-
berechnung auf die Bonität der öffentli-
chen Hand abzustellen.
Unabhängig von der Ausgestal-
tung der Finanzierung empfiehlt sich
ein wettbewerblicher Finanzierungs-
prozess, in dessen Zuge eine für alle
Teilnehmer passende Finanzierungs-
struktur zu möglichst günstigen Kon-
ditionen herausgearbeitet wird. Dem
aktuell steigenden Zinsumfeld wiede-
rum kann beispielsweise mit geeig-
neten Zinssicherungsstrategien begeg-
net werden.
38/22 | 19.9.2022
Steffen Wagner
Foto: KPMG
Was können Betreiber tun, um auch
nach Lieferung der Fahrzeuge mög-
lichst viel Wert aus ihren Assets zie-
hen zu können?
Anders als Autos sind Schienen-
fahrzeuge nicht an kurze Innnovations-
zyklen gebunden. Das Ziel der Betreiber
ist vielmehr ein sicherer, nachhaltiger
und wirtschaftlicher Betrieb der Fahr-
zeuge. Um dieses Ziel zu erreichen, sind
nicht nur Betriebskosten zu reduzieren,
sondern auch Ausfallwahrscheinlich-
keiten zu senken und Silostrukturen
aufzulösen.
Der Erfolg der Betriebsphase wird
nach meiner Erfahrung von einer Kom-
bination aus robuster Datengrundlage
und werteorientierter Entscheidungs-
findung bestimmt: Ausschlaggebend
für eine bestmögliche Nutzung der neu
geschaffenen Fahrzeugkapazitäten
ist eine ganzheitliche Betrachtung der
Gesamtlebenszykluskosten, die neben
dem prognostizierten Leistungsniveau
der Schienenfahrzeuge auch die Risi-
kobereitschaft des Betreibers und den
Zustand der Schieneninfrastruktur
berücksichtigt. Ein solcher systema-
tischer Asset Management Ansatz gibt
den Betreibern die Möglichkeit, ver-
meidbare Kosten, Ausfälle und Risiken
zu prognostizieren und den traditio-
nellen „Run-to-Fail“-Instandhaltungs-
ansatz durch eine vorausschauende
Wartung der Schienenfahrzeuge zu
ersetzen.
Was sind Ihrer Erfahrung nach die
drei effektivsten Hebel, um den maxi-
malen Wert aus den Schienenfahrzeu-
gen zu holen?
Erstens braucht es eine daten- und
faktenbasierte Entscheidungsfindung
und klare Rechenschaftspflichten.
Zweitens ist es essenziell, ein interdis-
ziplinäres Team aus Experten für Be-
schaffung, Finanzierung und Asset Ma-
nagement zusammenzustellen. Drit-
tens ist in jeder Phase stets der gesamte
Fahrzeuglebenszyklus zu betrachten.
Herr Wagner, danke für das Gespräch.

Artikel Redaktion Eurailpress
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