Personen & Positionen

Prof. Dr.-Ing. Corinna Salander: Wissenschaft und Politikberatung

Corinna Salander setzt auf hohe wissenschaftliche Standards, Interdisziplinarität und eindeutige Profilierung des DZSF, das neu die Forschungslandschaft im Sektor Bahn mitgestaltet.; Quelle: Dietrich Flechtner

Als Direktorin des Deutschen Zentrums für Schienenverkehrsforschung DZSF baut Prof. Dr.-Ing. Corinna Salander neu die Bundesforschung für den Bahnsektor auf. ETR sprach mit Salander über Rolle und Zukunft der neuen Forschungsinstitution.

 

Sie leiten seit Januar das Deutsche Zentrum für Schienenverkehrsforschung DZSF. Wie definiert sich die neue Einrichtung?

Das DZSF ist eine wissenschaftliche und anwendungsorientierte Ressortforschungseinrichtung des Bundesministeriums für Verkehr und Digitale Infrastruktur (BMVI) und der zentrale Baustein zur Umsetzung des Bundesforschungsprogramms Schiene. Wir koordinieren also die derzeitigen und künftigen Forschungstätigkeiten des Bundes im Schienenverkehr, nicht als Konkurrenz zu bestehenden Forschungseinrichtungen, sondern als strategische Klammer. Wir beraten außerdem das BMVI wissenschaftlich fundiert in allen Fragen des Schienenverkehrs. Mit unserer spezifischen Expertise unterstützen wir so Bundesregierung und Bundestag bei Entscheidungen in Fragen der Schienenverkehrspolitik. Mit unserer Vernetzung in der Branche und der Politik tragen wir dazu bei, die Forschung zur technologischen Weiterentwicklung des Sektors voranzubringen. Dies sind die Aufgaben des DZSF.

In Ihren Stellenausschreibungen haben Sie häufig nicht nach Eisenbahn-Fachwissen gesucht. Warum?

Um einen breiten Blick auf die relevanten Fragen zu haben, haben wir ganz bewusst Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter rekrutiert, die aus anderen Fachbereichen kommen: Informatiker, Biologen, Geografen, Juristen, Betriebswirtschaftler, Soziologen. Natürlich haben wir auch Eisenbahningenieure eingestellt. Doch Interdisziplinarität ist ein wesentlicher Bestandteil unseres Leitbildes.

Wissenschaft, praxisnahe Forschung und Politikberatung im Auftrag des Bundes – wie balancieren Sie auf dem Grat zwischen Freiheit der Wissenschaft und Anforderungen aus Politik und Praxis?

Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind in ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit zur Neutralität verpfl ichtet und damit unabhängig. Die Auftragnehmer unserer Forschungsprojekte sind natürlich frei in ihrer Forschung. Die Qualität der Forschungsergebnisse stellen wir über die Einhaltung der Standards der guten wissenschaftlichen Praxis sicher, wie sie zum Beispiel von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) defi niert werden, auf die wir auch unsere Auftragnehmer verpflichten.

Wie stellen Sie die Anwendungsorientierung her?

Dies erreichen wir mit zwei Säulen: für eine übergeordnete, strategische Sicht auf die Forschungsthemen im Bundesforschungsprogramm streben wir eine interdisziplinäre Besetzung unseres Beirats an – mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die mit uns gemeinsam von außen auf den Schienenverkehr blicken. Außerdem werden wir dem Sektor durch sogenannte strukturierte Gespräche ab 2021 regelmäßig die Möglichkeit geben, Themen anzusprechen, die für die technologische Weiterentwicklung des Schienenverkehrs wichtig sind. Strukturierte Gespräche bedeuten, dass wir mit den Stakeholdern aus Industrie, Forschung und Behörden, beispielsweise über die Verbände, zusammentreffen werden, um die Anwendungsorientierung bei der Weiterentwicklung des Bundesforschungsprogramms sicher zu stellen.

Das Zentrum ist beim Eisenbahn-Bundesamt angesiedelt. Ist das DZSF eine Behörde?

Ja. Die Dienstaufsicht liegt beim Eisenbahn-Bundesamt, die Fachaufsicht beim Bundesverkehrsministerium. Allerdings haben wir keine amtliche Wirkung: Wir stellen keine Bescheide aus oder vergeben Zulassungen - unser Auftrag ist Forschung und Wissenstransfer. Die direkte Anbindung an das EBA erleichtert uns die Aufbauphase, weil wir auf allen Ebenen auf die Ressourcen des EBA zurückgreifen können. Die enge Zusammenarbeit ermöglicht uns außerdem, aus der Praxis heraus Themen zu definieren, die eine wissenschaftliche Untersuchung erfordern.

Hat das DZSF auch auf europäischer Ebene eine Funktion?

Wir arbeiten eng mit der European Union Agency for Railways (ERA) zusammen. Hierfür gibt es ein eigenständiges Memorandum of Understanding (MoU). Ich habe deshalb auch eine Europabeauftragte benannt, die für eine enge Abstimmung mit der ERA sorgt, unter anderem dazu, wer in welchem Bereich wie vorgeht, auch in der Zusammenarbeit mit Shift2Rail. Natürlich werden wir auch die Fühler zu anderen europäischen Forschungseinrichtungen für den Schienenverkehr ausstrecken.

Inwieweit arbeitet das DZSF mit anderen Bundesforschungsanstalten zusammen?

Im Expertennetzwerk des Bundesverkehrsministeriums findet seit Jahren eine intensive, gemeinsame Forschungsarbeit mit den anderen Ressortforschungseinrichtungen des BMVI statt. Beispielsweise konnten intermodale Verkehrsverlagerungen infolge von Überschwemmungen, Hangrutschungen oder Sturmereignissen optimal gemeinsam mit den relevanten Fachbehörden ermittelt werden. Auch für die Weiterentwicklung der Instrumente des Building Information Modeling (BIM) für Bau und Unterhaltung sind für die Ingenieurbauwerke der verschiedenen Verkehrsträger ähnliche Fragen zu beforschen. In einem mFUND-geförderten Projekt untersuchen wir die Möglichkeit zur gemeinsamen Geodatenhaltung und -bearbeitung innerhalb des Expertennetzwerks. Bei Erfolg könnte das der Grundstein zu einem behördenübergreifend einheitlichen Umgang mit Geodaten führen. Die Zusammenarbeit ist also insgesamt erfreulich eng.

Was sind die Schwerpunkte der DZSF-Arbeit in 2020?

Das DZSF setzt das jeweils aktuelle Bundesforschungsprogramm Schiene um. Wir bearbeiten mit Hochdruck die im Programm genannten Projekte, von denen aber viele auch weit über 2020 hinaus angelegt sind. Natürlich initiieren wir derzeit aber auch die Weiterentwicklung und damit die Aktualisierung des Bundesforschungsprogramms für die kommenden Jahre. Außerdem haben wir den Personalaufbau vorangetrieben. Anfang nächsten Jahres werden rund 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beim DZSF arbeiten. Dieses Personal brauchen wir zum einen, um die Forschungsprojekte zu begleiten, zum anderen aber auch, um eigene Forschung zu leisten. Die eigene Forschung wird sich im kommenden Jahr weiter entwickeln.

Wie unterstützen Sie die tatsächliche Umsetzung von Forschungsergebnissen?

Grundsätzlich veröffentlichen wir alle Forschungsergebnisse auf unserer Website und ermöglichen damit allen Interessierten den Zugang und die Umsetzung. Aus den Arbeiten der letzten Jahre gibt es aber schon einige spannende Beispiele für eine konkrete Umsetzung, so unter anderem die Integration einer Staubabsaugung in eine Bettungsreinigungsmaschine, der erstmalige Einsatz von Lärmschutzgalerien im Schienenverkehr, die Standardisierung von Rahmenbauwerken oder auch die Nutzung der Ergebnisse aus unserem bereits genannten Hangrutschungsprojekt in der Planfeststellung.Außerdem arbeiten wir in Normungsgremien, beispielsweise im Deutschen Institut für Normung (DIN), mit, um bei Bedarf Änderungen von Normen voranzutreiben. Natürlich arbeiten wir auch eng mit der Deutsche Bahn AG zusammen. Generell ist es ein Ziel des DZSF, Forschungsergebnisse auch in Regelwerken zu verankern, denn so kommen die Ergebnisse unserer wissenschaftlichen Projekte direkt der Praxis zugute.

Teil der Arbeit des DZSF sind auch verschiedene Test-Einrichtungen. Wie ist hier der Stand?

Die Ausschreibung für das offene digitale Testfeld Schiene ist veröffentlicht. Bei dieser Studie geht es darum, die Möglichkeiten auszuloten, wie Forschungsgruppen Demonstratoren aller Technologiereifegrade einsetzen können. Und zwar sowohl für die Fahrzeugentwicklung als auch für Infrastrukturelemente. Untersucht wird ein bestehendes Streckennetz von 350 km Länge zwischen der Lausitz und Leipzig , welches das DZSF gemeinsam mit dem BMVI und der DB Netz AG identifiziert hat. Es soll alle Facetten des Schienenverkehrs abdecken, von stillgelegten Abschnitten bis hin zu Hochgeschwindigkeitsstrecken. Dieses Testfeld soll, wie der Name schon sagt, für alle offen und nicht kommerziell betrieben sein. Die ersten Ergebnisse dieser Studie werden wir Mitte Oktober im Rahmen des 5. Forschungsworkshops des BMVI vorstellen. Apropos: diesen Workshop, den das BMVI seit einigen Jahren für die Forschungscommunity der Branche veranstaltet, werden wir in diesem Jahr zum ersten Mal als gemeinsame Veranstaltung von BMVI und DZSF durchführen, Corona-bedingt allerdings im virtuellen Format. Als zweites haben wir, wie im Bundesforschungsprogramm ausgeführt, den Auftrag, das LärmLab21 einzurichten. Ein erstes Konzept dazu werden wir im Frühjahr 2021 vorstellen.

Müssen Sie für das DZSF Eigenmittel einwerben?

Nein, wir sind durch den Bund finanziert. Allerdings dürfen wir Eigenmittel für die Forschung einwerben. Dabei handelt es sich aber ausschließlich um öffentliche Mittel, zum Beispiel aus dem mFund des BMVI. So können wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch projektbezogen einstellen. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Projekt ZuG, bei dem es um die automatisierte Erkennung des Gleisumfeldes geht. Hier haben wir einen Eigenmittelbeitrag.

Mein Verständnis war immer, dass Behörden ganz unabhängig von Mitteln von außerhalb sein sollten.

In Bezug auf wissenschaftliche Projekte dürfen wir öffentliche Mittel einwerben und Mitarbeiter einstellen. Natürlich achten wir darauf, dass wir schon im Vorhinein mögliche Interessenskonflikte ausschließen. Industriefinanzierte Forschung gehört nicht zu unserem Portfolio.

Das Zentrum ist Auftraggeber von Forschungsaufträgen und beteiligt sich gleichzeitig selbst an Ausschreibungen und nimmt Aufträge an. Damit stehen Sie potentiell in Konkurrenz zu anderen Forschungseinrichtungen bei der Einwerbung von Mitteln. Wie handhaben Sie das?

Ich sehe das DZSF nicht in Konkurrenz zu anderen, sondern als Erweiterung der Forschungslandschaft im schienengebundenen Verkehr. Wir streben eine gute Zusammenarbeit mit allen bestehenden Forschungseinrichtungen an. Und meine ersten Kontakte stimmen mich zuversichtlich, dass wir uns da zur Stärkung des Schienenverkehrs gewinnbringend ergänzen werden.

Welches Forschungsprofil sehen Sie für das DZSF?

Grundlage unserer Profilierung ist natürlich die Struktur des Bundesforschungsprogramms mit den Themenfeldern Wirtschaftlichkeit, Umwelt und nachhaltige Mobilität sowie Sicherheit und den Querschnittsthemen Digitalisierung, Automatisierung, Migration und Recht. Die schon erwähnte Interdisziplinarität unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ermöglicht uns, in allen Bereichen Profil zu zeigen. Entscheidend ist aber vor allem unser Auftrag, zum Erreichen der Klimaschutzziele und der Stärkung der Marktanteile der Schiene beizutragen. Konkret bauen wir unsere Expertise beispielsweise in Fragen der volkswirtschaftlichen Bedeutung des Bahnsektors, der Anpassung an den Klimawandel oder auch der Cyber Security auf. Das betrifft technische Fragestellungen genauso wie gesellschaftspolitische.

Wie schwer war es, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für das DZSF zu finden?

Mit Ausnahme der Bauingenieure gab es ein erstaunlich großes Bewerberfeld. Wir haben viele gute, junge Leute gewinnen können. Der Altersdurchschnitt ist mit Mitte 30 niedrig. Zu dem guten Bewerberfeld hat sicherlich beigetragen, dass wir mit Dresden und Bonn zwei attraktive Standorte haben und unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Wahl offenlassen konnten. Außerdem kann ich als Honorarprofessorin der Universität Stuttgart weiter Dissertationen betreuen – auch das ist ein wichtiger Punkt für die Gewinnung von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern.

Sie sind seit 1. Januar 2020 Direktorin des DZSF – das heißt, Sie mussten das Zentrum in weiten Teilen unter Corona-Einschränkungen aufbauen. Was waren die zusätzlichen Herausforderungen?

Corona war unter dem Gesichtspunkt der Zusammenarbeit beim Aufbau kaum ein Problem. Ich habe eine tolle Infrastruktur beim Eisenbahn-Bundesamt vorgefunden. Das EBA hat ein hervorragendes Dokumenten-Management, das tatsächlich über alle Standorte hinweg ein papierloses Büro ermöglicht. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren alle – schon vor Corona – mit Laptops, Kameras und Kopfhörern ausgestattet und viele hatten schon zuvor die Möglichkeit des mobilen Arbeitens genutzt. Als Corona dann kam, waren wir vom Stand weg voll arbeitsfähig. Schwierig war natürlich der Prozess der Personalgewinnung, da wir mit dem Lockdown Auswahlgespräche nur virtuell führen konnten. Und manchmal vermissten wir „das Gespräch am Kaffeeautomaten“, bei dem sich oft schnell und unkompliziert Fragen klären lassen. Ganz grundsätzlich beschäftigen auch uns natürlich die Auswirkungen von Covid-19 auf den öffentlichen Personenverkehr. Mit unserer Studie zu verschiedenen Ausbreitungspfaden des Virus in öffentlichen Verkehrsmitteln und in Bahnhöfen sowie zu geeigneten Schutzmaßnahmen wollen wir eine wissenschaftlich fundierte Einschätzung der Ansteckungs- und Ausbreitungsgefahr in Zügen des Nah- und Fernverkehrs und auch Straßenbahnen und Bussen geben.

Wie ist letztendlich die finanzielle Ausstattung des Zentrums?

Für dieses Jahr haben wir 16 Mio. EUR für die Forschung bekommen.

Eine private Frage: Wie entspannen Sie sich?

Bei anregenden Gesprächen über Gott und die Welt im Familien- und Freundeskreis.

 

Das Interview aus Eisenbahntechnische Rundschau 10/2020 führte Dagmar Rees.

Artikel Redaktion Eurailpress
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