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Meinung: "Coronageld konserviert überholte Strukturen der DB"

Die Diskussion um die Unterstützung des Bundes für die DB in der Corona-Krise hält an. Der Wissenschaftler und Unternehmer Rüdiger Sterzenbach blickt in seinem Meinungsbeitrag aus ordnungspolitischer Sicht auf die Bahnpolitik, den Zustand der DB und deren Perspektiven.

von Rüdiger Sterzenbach

Werden Monopolstellungen geschleift, sind die Verbraucher regelmäßig die Gewinner. So sanken zum Beispiel seit der Liberalisierung im Flugverkehr die Ticketpreise; das bis dahin den Begüterten vorbehaltene Luxusgut Fliegen wurde demokratisiert. Die Freigabe von Buslinien im Fernverkehr verschaffte den Kunden eine erheblich größere Auswahl an preisgünstigen Reisemöglichkeiten und ist ein Lehrbeispiel, wie konsumentenfreundlich Wettbewerb in der Sozialen Marktwirtschaft ist.

Am Beispiel der staatseigenen Deutschen Bahn AG (DB AG) zeigt sich hingegen deutlich, dass die Politik verkrustete und nicht mehr zeitgemäße Strukturen konserviert und dabei große ordnungspolitische Defizite offenbart. Der Haushaltsausschuss des Bundestages stellte einen „Versteinerungseffekt“ fest. Das Beispiel der DB AG belegt zudem, dass der Staat über keine unternehmerischen Fähigkeiten verfügt, höhere Subventionen nicht zu besseren Ergebnissen und zur Stärkung der notwendigen Mobilitätswende führen und Produktivkräfte vergeudet werden. In der Geschichte der Deutschen Bahn ist immer wieder von „guten Ansätzen“ in den Planungen für die Zukunft zu lesen, die Realität spiegelt leider nicht die erfolgreiche Umsetzung dieser Ansätze wider.

Es ist zudem einmal mehr zu konstatieren, dass die DB AG ihre Investitionen bereits vor der Corona-Krise „nicht aus eigener Kraft finanzieren“ und die zur Verkehrswende notwendigen Herausforderungen „nicht durch operativ erwirtschaftete Cashflows auffangen“ konnte (Bundesrechnungshof); mit anderen Worten: Die Schulden werden steigen. In der Bahnreform wurde die DB AG entschuldet. Bereits vor der Corona-Krise lag sie bei einem Verschuldungsstand von knapp unter 25 Mrd. Euro – mit weiter steigender Tendenz. Tätigkeiten außerhalb des Kerngeschäfts haben auch zu der schlechten Performance der DB AG beigetragen. Gerne verweist die DB AG dabei auf ihr gutes Ranking am Kapitalmarkt, verkennend, dass dieses gute Ranking insbesondere dem Eigner Bundesrepublik Deutschland geschuldet ist.

"Der Schutz vor Wettbewerb und das „Hineinregieren“ durch die Politik wird zum Haushaltsrisiko."

Die DB AG ist seit langem – sowohl in der öffentlichen Wahrnehmung als auch in der Statistik – in der Qualität der angebotenen Produkte und in der Netzverfügbarkeit mangelhaft. Sie ist in hohem Maße unpünktlich und leidet vielfach insbesondere an mangelnder Zuverlässigkeit und fehlendem Komfort. Der heutige mangelhafte Zustand hat sich dabei über einen längeren Zeitraum entwickelt. Das Staatsunternehmen leidet unter einer hohen Verschuldung, es fehlen Milliarden Euro für zum Beispiel eine dringende Modernisierung des Wagenmaterials, maroder Brücken und Stellwerke und – trotz Erhöhungen der Zahlungen des Bundes – den Ausbau und die Sanierung des Schienennetzes. Dies selbst vor dem Hintergrund der Anfang 2020 beschlossenen Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV III) und der dadurch zufließenden Mittel in Rekordhöhe. Zudem hat sich Bahnfahren im letzten Jahrzehnt erheblich verteuert. Mit Verwunderung muss zur Kenntnis genommen werden, wenn ein heutiges Vorstandsmitglied – aus der Politik in diese Funktion befördert – als Erklärung für mögliche Unzulänglichkeiten im letzten Jahr die „bemerkenswerte“ Erkenntnis liefert: „Dieses System ist extrem komplex“.

Der Schutz vor Wettbewerb und das „Hineinregieren“ durch die Politik wird – einmal mehr in der Geschichte der DB AG – zum Haushaltsrisiko und geht zu Lasten der Steuerzahler. Bereits im ersten Halbjahr 2019 hatte die DB AG die 2016 vom Haushaltsausschuss des Bundestages beschlossene Obergrenze für ihre Verschuldung überschritten; dies vor dem Hintergrund, dass die DB AG in der Bahnreform komplett entschuldet wurde. Der Bundesrechnungshof stellte schon damals fest, dass „bis Ende des Jahres 2019 ... eine signifikante Finanzierungslücke von fast drei Milliarden Euro bestehen [wird].“ Es darf kein „weiter so“ in der Finanzierung der DB AG durch höhere Subventionen geben; ist doch das Unvermögen des Staates zur Berufung eines wirtschaftlich effizienten Managements – es fehlen erfahrene Kaufleute und „Bahner“ in den Führungsetagen – in besorgniserregender Weise deutlich. Dem widerspricht auch nicht der deutliche Zuwachs an Fahrgästen im Fernverkehr, haben doch die Beförderungsleistungen mit dem Auto – im vergleichbaren Zeitraum – stärker zugenommen. Die Probleme der DB AG sind nur in grundlegenden Schritten mit einer größeren Hinwendung zum Wettbewerb zu lösen; Ultimaten an den Bahnvorstand zur Lösung der vielfältigen Probleme verkennen die zu lösende Grundproblematik der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit des Staatskonzerns. Bevorzugungen durch geringere steuerliche Belastungen (z. B. Absenkung der Mehrwertsteuer) oder niedrigere Fahrpreise oder ein denkbarer Billig-ICE lösen nicht das Grundproblem der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit der DB AG. Gleiches gilt für eine höhere Besteuerung der Alternativen zum Bahnfahren, einhergehend mit einer Benachteiligung des Wettbewerbs auf der Schiene durch die finanzielle Bevorzugung der DB AG im Rahmen des Klimapakets und der Corona-Finanzhilfen. Diese Maßnahmen spiegeln eher durch einen sich wiederholenden Aktionismus die Unkenntnis der primären Treiber einer Verkehrsverlagerung wider und sind zugleich ein Offenbarungseid der Politik.

Es ist festzuhalten: Die Bundesregierung ist für das unternehmerische Handeln der DB AG verantwortlich (Bundesverfassungsgericht 2017). Die DB AG hat ihre Aufgabe der Verkehrsverlagerung auf die Schiene nicht erreicht. Im Güterverkehr ist der Anteil der Eisenbahn seit nahezu 30 Jahren – trotz Bahnreform – gesunken. Obwohl die DB AG im Schienenpersonenfernverkehr – vor Konkurrenz auf der Schiene vielfältig geschützt – absolut Zuwächse hat, verliert sie nahe­zu stetig – im Wettbewerb – Anteile im Schienenpersonennahverkehr und Schienengüterverkehr (DB Cargo) an andere Unternehmen. DB Cargo ist seit vielen Jahren ein Fall für den Sanierer (bereits vor Corona fiel hier das Wort „Krise“), die Nahverkehrstochter DB Regio hat im Teilbereich des öffentlichen Nahverkehrs – insbesondere bei DB Regio Bus – seit nahezu einem Jahrzehnt einen Einbruch, der auch als besorgniserregend bezeichnet wird.

"Es bedarf der stärkeren Beachtung des Wirtschaftlichkeitsprinzips."

Es bedarf unabdingbar der stärkeren Beachtung des Wirtschaftlichkeitsprinzips zur Steigerung der Effizienz und der Hebung von Innovationspotentialen zum Wohle der Kunden und stärkeren Hinwendung zur Verkehrswende. Wenn ein Bundesverkehrsminister den Vorstand beauftragt, „die Konzernstrukturen effizienter zu organisieren sowie zu verschlanken“, und im Zusammenhang mit der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung meint, dass nunmehr der „Wow-Effekt“ bei der Bahn komme und die zwanziger Jahre „ein glänzendes Jahrzehnt der Schiene“ werden, verkennt er jedoch die tiefergehende Problematik des Wirtschaftens in diesem Staatskonzern – befindet sich aber in einer Reihe gleichermaßen dauerhaft erfolgloser Anmahnungen und Prophezeiungen seiner Vorgänger.

Es bedarf, wie beispielsweise die Monopolkommission schon seit Längerem fordert, einer Trennung von Netz und Betrieb, und der Trennung von Geschäftsfeldern und Unternehmensanteilen, die nicht zum Kerngeschäft gehören. Nur ein vom Netz getrenntes und vollständig privatisiertes Eisenbahnverkehrsunternehmen DB AG wird – mit dem ausdrücklichen Hinweis auf ein von der Politik vorzugebendes Regelwerk im Rahmen eines verkehrspolitischen Gesamtkonzepts – dauerhaft und nachhaltig den erwarteten und erhofften Beitrag zur Mobilitätswende und zur Erreichung der Klimaziele im Verkehrssektor leisten können. Die Schaffung attraktiver Angebote, um auch die politisch gewünschte stärkere Verlagerung des Luftverkehrs auf die Schiene nicht erst in Jahrzehnten stattfinden zu lassen, findet nicht in einem erforderlichen Maße statt. Dazu bedarf es mehr als das Fliegen zu verteuern, Bahnreisen preisgünstiger zu gestalten und Flugscham durch Werbung der Bahn zu schüren. Gepriesene Erfolge, man habe z. B. mit Inbetriebnahme der ICE-Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen München und Berlin den Marktanteil verdoppelt, spiegeln eine falsche Realität einer Verkehrsverlagerung wider, war doch vor Corona auf der gleichen Strecke die Zahl der Fluggäste relativ konstant. Zwar hat es in den vergangenen 20 Jahren, insbesondere auch durch eine Inbetriebnahme von Hochgeschwindigkeitsstrecken, eine Reduktion des innerdeutschen Luftverkehrs gegeben. Neubaustrecken sind jedoch ein Generationenprojekt, selbst wenn es sich nur um einen Teilausbau handeln mag, wie es zum Beispiel für die Strecke Berlin – Köln denkbar wäre.

In den bisherigen öffentlichen Ausführungen zur Verkehrsverlagerung auf die Schiene ist zudem nicht erkennbar, inwieweit der technologischen Entwicklung in den Überlegungen Rechnung getragen wird. Es ist zum Beispiel nicht auszuschließen, dass mögliche Entwicklungen auf dem Weg zu einem autonomen Fahren die Attraktivität des Straßenverkehrs im Verhältnis zur Schiene überproportional steigern.

Auch bei einer privatisierten DB AG sollte die Verantwortung für die gemeinwirtschaftlichen Aufgaben bei der öffentlichen Hand bleiben. Mit der Privatisierung ist eine strikte Trennung der politischen Einflussnahme zu verbinden, ins­be­sondere durch ein Aufbrechen der Verkrustung von Aufsichtsrat und Management. Die DB AG wird nur dann eine gute Zukunft haben und einen besseren Beitrag zur Mobilitätswende leisten, wenn Aufsichtsrat und Management mehrheitlich nach ökonomischer Kompetenz und nicht nach politischem Proporz besetzt sind.

"Die Politik muss aufhören, die Deutsche Bahn in die falsche Richtung zu fahren."

Eisenbahn ist mehr als die DB AG. Erst die Beherzigung dieser Erkenntnis und die gleiche Behandlung von DB AG und deren Wettbewerbern lassen eine bessere Entwicklung zur Verkehrsverlagerung auf die Schiene erwarten. Der tatsächlich notwendige Ausgleich von Corona-bedingten Einnahmeausfällen, eine auch damit im Zusammenhang stehende immer noch nicht abschließend ausgeschlossene Erhöhung der Verschuldungsgrenze und möglicherweise eine Eigenkapitalerhöhung lassen den Verdacht aufkommen, dass der DB AG einmal mehr – hier über die Corona-bedingten Einnahmeausfälle hinaus – auch wegen unwirtschaftlichem Handeln dringend benötigtes frisches Geld zufließen soll. Steuergelder – und damit das Geld der Bürger – fließen in einen heruntergewirtschafteten Staatskonzern und benachteiligen den Wettbewerb. Eisenbahnpolitik darf sich nicht länger von dem Grundgedanken beherrschen lassen, sich nahezu ausschließlich an der Subventionierung eines nicht wettbewerbsfähigen Staatsunternehmens auszurichten. Dazu bedarf es jedoch der politischen Kraft und des politischen Willens, sich vom Minimalkonsens zu verabschieden und Blockadehaltungen zu durchbrechen. Die Politik muss aufhören, die Deutsche Bahn in die falsche Richtung zu fahren und dabei – befeuert durch weitere Subventionen – noch das Tempo zu erhöhen. Gelingen wird dies nur dann, wenn die Verkehrspolitik beginnt, den Bahnkunden die Vorteile des Wettbewerbs zu vermitteln und den Schutz eines nachhaltig unrentablen Staatskonzerns hintenanstellt.

In der Diskussion über die Verkehrsverlagerung auf die Schiene darf zudem nicht ausgeblendet werden, dass entsprechend der Datenlage des Umweltbundesamtes Busreisen klimaschonender sind als Bahnreisen. Eine einseitige Absenkung der Mehrwertsteuer bei Reisen im Bahnfernreiseverkehr benach­teiligt damit das klimafreundlichere Angebot im Fernbusverkehr und lässt durch diese Wett­bewerbsverzerrung große Potentiale auf dem Weg in eine klimafreundliche Mobilität ungenutzt. Sollen die Mobilitätswende und die Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise nicht zu einem Alibi für eine stärkere Unterstützung eines Staatskonzerns herhalten, bedarf es einer Beseitigung dieses bewusst herbeigeführten Wettbewerbsnachteils für den Fernbusverkehr – dies auch unabhängig von der Frage, ob eine einseitige Mehrwertsteuersenkung einer rechtlichen Prüfung standhält. Inwieweit irgendwann mit einer Beseitigung des Wettbewerbsnachteils – eine nicht nur im Hinblick auf den Klimawandel notwendige Entscheidung – gerechnet werden kann, muss bei der politischen Verflechtung der DB AG und der gleichzeitig nicht gerade großen Lobby für den Omnibusverkehr bezweifelt werden.

Es gilt in der Verkehrspolitik die große ordnungspolitische Aufgabe mit einem stringenten Ordnungsrahmen zu bewältigen, damit die zu schaffenden Regeln, die Rechte und Pflichten für alle Marktteilnehmer gleich und uneingeschränkt gelten sowie eine diskriminierungsfreie Teilhabe am Markt mit bestmöglicher Nutzung privater Initiativen, Innovationen und auch Investitionen auf wettbewerblicher Basis dauerhaft ermöglichen. Hierzu bedarf es auch einer mittelstandsfreundlichen Gestaltung des Ordnungsrahmens, als wesentlicher Treiber von Innovationen. Wir sollten die Agenda der Liberalisierung des Ordnungsrahmens als großen Aufbruch in eine ökologischere Zukunft erzählen. Wenn wir auf Basis des bisherigen Ordnungsrahmens der Bahn fortfahren, fährt die Politik jedoch weiterhin auf dem falschen Gleis und behindert „im Gegenverkehr“ mögliche Erfolge in der angestrebten Mobilitätswende.


Zum Autor

Prof. Dr. Rüdiger Sterzenbach war von 1977 bis 2012 Professor für VWL und Verkehrsbetriebswirtschaft des Personenverkehrs an der Hochschule Heilbronn sowie Begründer des Studiengangs Verkehrsbetriebswirtschaft und Personenverkehr. Sterzenbach ist ehemaliger Gesellschafter eines großen privaten Verkehrsunternehmens und Mitbegründer eines gemeinnützigen Unternehmens zur Integration Schwerstbehinderter. Er ist Autor mehrerer Bücher und wurde vielfach hochrangig ausgezeichnet. Sterzenbach ist ein Vertreter Erhard´scher Wirtschaftspolitik auf der Grundlage der Sozialen Marktwirtschaft und ordoliberaler Grundprinzipien.

Artikel Redaktion Eurailpress
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